Diese kurze Wintergeschichte für Erwachsene ist das älteste Märchen Hans Christian Andersens. Es wurde erst 2012 in einem dänischen Archiv wiederentdeckt.

Ich habe sie in einem Weihnachtsbuch über skandinavische Mythen, Bräuche und Geschichten entdeckt, und sie von Schwedisch ins Deutsche übersetzt.

Ich hoffe, sie gibt dir den einen oder anderen Denkanstoß für die Weihnachts- bzw. Winterzeit.

Es kochte und dampfte während die Flammen unter dem Topf loderten. Dies war die Wiege des Talglichts.

Aus diesem sicheren, warmen Ort glitt das Talglicht, formvollendet, strahlend weiß und schmal. Sie wurde mit der Hoffnung einer strahlenden und glorreichen Zukunft geschaffen. Und diese Hoffnung, die alle in dem kleinen Talglicht sahn, wollte sie auch erfüllen.

Das Lamm, ein schönes kleines Lamm, war die Mutter des Talglichts und der schwarze Schmelztiegel war sein Vater.  Von seiner Mutter hatte das Licht einen blendend weißen Körper und eine Vorahnung, was das Leben sein könnte, geerbt.  Von seinem Vater hatte es seine Vorliebe für das lodernde Feuer bekommen, eine Vorliebe, die später durch Mark und Knochen gehen und in ihrem Leben „leuchten“ sollte. 

Ja, so war das Talglicht geboren, und mit der größten und strahlendsten Hoffnung begab sie sich hinaus in den Tanz des Lebens.

Mit der größten und strahlendsten Hoffnung begab sie sich hinaus in den Tanz des Lebens.

Das Talglicht traf so viele wunderliche Wesen wie möglich, denn es wollte das Leben kennenlernen. Könnte es so vielleicht seinen rechtmäßigen Platz im Leben finden.

Aber das Talglicht glaubte zu viel an das Gute in der Welt, während die Welt nur an sich selbst dachte.

Nein, keiner auf der Welt verstand welchen Nutzen das Talglicht für die Welt haben könnte. Deshalb versuchte jeder, das Talglicht zu seinem Vorteil zu nutzen. Sie hielten sie so, dass schwarze Finger immer größere Flecken auf dem reinen, weißen Körper machten.

Die Unschuldsfarbe wich dem Schmutz und der Unreinheit von einer Welt, die zu viel von ihr verlangte

Mehr als dem Talglicht gefiel, denn es kannte nicht den Unterschied zwischen rein und unrein – dennoch war sie in ihrem Innersten unschuldig und unberührt. 

Ihre falschen Freunde verstanden, dass sie den Kern des Talglichts nie erreichen könnten. Daraufhin wurden sie wütend und warfen sie als nutzlose Sache weg. 

Aber ein solches Äußeres hält auch die Guten fern.  Sie hatten Angst, sich von der schwarzen Farbe anstecken zu lassen, hatten Angst, Flecken zu bekommen und blieben daher weit weg von ihr. 

Sie hatten Angst, sich von der schwarzen Farbe anstecken zu lassen, hatten Angst, Flecken zu bekommen und blieben daher weit weg von ihr. 

Dann stand das arme Talglicht da, so einsam und verlassen, dass sie weder raus noch rein wusste.  Es fühlte sich vom Guten abgelehnt und entdeckte erst jetzt, dass es nur ein Werkzeug gewesen war, um das Böse zu fördern.  Dann wurde das Talglicht so endlos unglücklich, denn es hatte sein Leben vergeblich gelebt.

Ja, sie könnte sogar das Gute in seiner Umgebung geschwärzt haben und das Talglicht konnte nicht verstehen, warum oder wie sie eigentlich erschaffen wurde.

Warum sollte sie hier auf der Erde leben, wenn sie nur sich selbst und andere zerstört?

Immer mehr und mehr grübelte das Licht, aber je mehr es darüber nachdachte, desto größer die Entmutigung.

Denn das Talglicht konnte keinen guten, keinen wirklichen Sinn für sein eigenes Leben finden. Es war, als ob das schwarze Äußere des Lichts auch seinen Geist und seine Augen verdunkelt hatten.

Umgeben von solchen schwarzen Gedanken traf das Talglicht eine kleine Flamme. 

Es war eine Zunderbüchse, der das Talglicht besser kannte, als sie selbst. 

Natürlich blickte die Zunderbüchse direkt durch die schwarze Hülle des Talglichts und dort, im tiefsten Inneren konnte die Zunderbüchse sehen, dass so viel Gutes darin war. 

Im tiefsten Inneren konnte die Zunderbüchse sehen, dass so viel Gutes darin war. 

Daher näherte sich die Zunderbüchse des Talglichts und weckte eine helle Hoffnung in ihr.  Sie wurde angezündet und das Herz schmolz. 

Die Flamme leuchtete wie die Fackel der Liebe.  Alles wurde hell und klar um ihr herum, und sie erhellte den Weg für seine Umgebung und für seine wahren Freunde. 

Ja, selbst ihr Körper war stark genug, um sich dem lodernden Feuer zu nähern und es zu ertragen. 

Tropfen für Tropfen, wie kleine Triebe für neues Leben, rannen sie am langen schmalen Körper des Talglichts entlang und bedeckten den vorherigen Schmutz und die Unreinheit. 

Es war nicht nur der Körper der Liebe, sondern auch ihr göttliches Äquivalent. 

Und das Talglicht hatte ihren rechtmäßigen Platz im Leben gefunden und wusste, dass sie ein echtes Licht war, das lange Zeit zur Freude an sich selbst und ihren Mitkreationen leuchtete. 

Kurze Wintergeschichte für Erwachsene – frei nach Hans Christian Andersen